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Meinungsmacher im Buchhandel


Warum die Fusionen in der Buchbranche nicht die Rettung des deutschen stationären Buchhandels vor Amazon sind, und wie der Internet-Trend des Influencertums dem stationären Buchhandel in seiner Rolle als „Nutzenführer“ in die Karten spielt, all dies diskutieren Gerd Beckmann und ich in der aktuellen Ausgabe von BuchMarkt (Mai 2019).


Es war die erste Sensation des neuen Jahres, mit der wirklich niemand gerechnet hatte - dass Thalia und die Mayer’sche zum Mega-Großfilialisten mit 1,2 Euro-Milliarden Umsatz fusionieren wollen. Die deutschen Eigentümer, die hinter der neuen Großmacht stehen, sind augenscheinlich überzeugt, dass das Kartellamt seine - für diese beispiellose, im hiesigen Buchhandel bislang unvorstellbare Konzentration notwendige - Zustimmung geben wird. Dafür setzen sie primär auf eine politische Argumentationslinie. Sie versuchen den Eindruck zu erwecken, dass der weitere Vormarsch des amerikanischen Internet-Giganten Amazon im Buchsektor nur durch den Aufbau eines irgendwie vergleichbar großen stationären Filialnetzunternehmens zu stoppen sei. Damit wird die Fusion als alternativlose Aktion zur Rettung des deutschen Buchhandels sozusagen zur nationalen Aufgabe erklärt.


Das ist zweifelsohne sehr, sehr clever. Ist es aber mehr als nur eine gute „politische“ PR-Strategie? haben wir uns auch nach zwei persönlichen Erfahrungen der letzten Wochen gefragt. Wie steht es denn um das buchhändlerische Flair großer Filialisten?

In einer deutschlandweiten Kette haben wir nach einer interessanten Biographie Johann Sebastian Bachs gesucht. Wir fanden dort bloß ein einziges Buchprodukt, das einfach so da stand – und uns nicht als „etwas Besonderes“ zu überzeugen vermochte. Dagegen listet Amazon zu diesem nun wirklich sehr berühmten deutschen Komponisten über hundert Werke (mit oft nützlichen Hinweisen und Bewertungen). Man kann jedoch auch ohne Amazons elektronische Intelligenz weiterkommen. Es war in einer unabhängigen Buchhandlung, die auf Kinder- und Jugendbücher konzentriert war, dass wir bei unserem suchenden Fragen ein „ideales“ Werk fanden, auf das wir von allein nie und nimmer gekommen wären. Und wir wurden dann noch auf andere Bücher mit überraschenden Titeln aufmerksam, die wir ebenfalls kauften - viel mehr als wir eigentlich vorgehabt hatten: wegen der ungewöhnlichen, vielfältigen Auswahl und der kenntnisreichen Erläuterungen einer so kompetenten wie überzeugungsfähigen Sortimenterin. Im übrigen handelte es sich um Titel, die wir bei Amazon bestimmt nie entdeckt hätten. Wir hätten überhaupt nicht gewusst, wie wir dort nach ihnen hätten suchen können - weil die Titel ohne diese Buchhändlerin für uns gar nicht existiert hätten.


Die Buchbranche scheint in einer fast krankhaft wirkenden Manier auf Amazon fixiert. Es wird Zeit, dass sie sich davon freimacht. Dazu gehört nach unserem Befinden auch die Vorstellung, dass deutsche Familien als Eigentümer und eine neuartige, marktbeherrschende Größe Garantien sein könnten, damit Thalia dem Technologie- und Wall Street-Riesen Amazon Paroli bieten kann und ie Zukunft des stationären deutschen Buchhandels sichern könnte - ganz so, als ob unabhängige Buchhandlungen sich nur gegen die Macht von Amazon zu behaupten vermöchten, wenn sie dem Lockruf von Thalia folgen und unter das Dach des Großfilialisten schlüpfen würden. Dabei gäbe es Anlass zu diskutieren, ob nicht gerade die Weiterführung der bisherigen grossfilialen Praxis - ohne eine grundlegende Re-Orientierung wie etwa in Großbritannien bei Waterstones unter James Daunt (siehe Buchmarkt x, 2017) – die Existenzfähigkeit des deutschen Buchhandels beschädigen würde - ohne dass sich dafür Amazon der Schwarze Peter zuschieben ließe.


Es ist nämlich so: Wer sich auf seinem Terrain den Kunden als Nutzenführer präsentiert, kann selbst in Zeiten der digitalen Transformation gut bis sehr gut leben. Ja, mehr noch: Ausgehend von dem Mehrwert, den ein stationäres Geschäft aufzuweisen vermag, kann solch ein Nutzenführer sogar von der Digitalisierung profitieren und sein Leistungsangebot im Sinne des Kundennutzens ausbauen.


Eben da beginnt aber die Problematik des heutigen Großfilialistentums mit seinen „Service-Wüsten“, wie Elmar Krekeler sie schon vor Jahren in der Tageszeitung {Die Welt} angeprangert hat. Bei ihm ist jedenfalls das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Empfehlungsmarketing und die Wirksamkeit von Mund-zu-Mund- Propaganda verloren gegangen, die doch ein klassisches, selbstverständlichs Moment erfolgsversprechenden Handelns waren. Wer hat eigentlich die Falschmünze in Umlauf gebracht, dass bei der Kundschaft in Buchgeschäften „Beratung“ nicht mehr gefragt bzw. erwünscht sei? Ist es ein Zufall, dass die Behauptung ab den 1990ern zur „Branchenweisheit“ wurde – vor allem, seit Großfilialisten wegen der Mietüberteuerungen für ihre überdimensionierte Ladenflächen in städtischen 1A-Lagen am buchhändlerischen Personal sparen?


Beraten und Empfehlen - sie sind aber nun mal Teil und logisches Marketinginstrument einer grundsätzlichen Unternehmensphilosophie und –strategie. Hier es primär um die sogenannten Mehrwerte, die ein Buchhändler dem Kunden bieten kann. Zu diesen Mehrwerten gehören essentiell Sortimentsbreite (also: die Auswahl der angebotenen Tite)l; Sortimentstiefe (also Spezialisierung) und Kauferlebnis - hier sind Raumatmosphäre und Entertainment, insbesondere jedoch das Gespräch und die Beratung maßgeblich.


Und das gilt heute mehr als je zuvor. Denn es gibt eine Titelschwemme - mit immer größerem Anteil von durchschnittlicher und minderwertiger Massenware und dem Trend zu allgemein nivellierender Aufmachung. Von den Verlagen wird das Publikum außerdem kaum mehr öffentlich angesprochen – ihre Werbung ist fast bis zur Unsichtbarkeit eingeschrumpft worden. Noch dazu wird der Vorstellung von Büchern in den Medien zunehmend weniger Platz oder Zeit eingeräumt – und deren Wirkung nimmt rapide ab. Und die Möglichkeiten der neuen sozialen Medien, auf die heutzutage alle Welt jetzt, hat die Buchbranche offenbar nicht verstanden oder aktiv für ihre Zwecke genutzt.


In den sozialen Medien tummeln sich Communities für alle möglichen Hobbies und Interessengebiete – für Pkw und Reisen, Sport und Kultur, Natur und Technik etc etc. Aber wo finden sich digitale Communities, die von Verlagen für Literatur oder Sachbücher aufgebaut und regelrecht betreut werden? Gibt es etwa schon Buchhandels-Nutzenführer, die entweder digitale Communities mit Inhalten befruchten oder gar etabliert haben? Existieren überhaupt noch Communities, also auch stationäre, in denen sich Leser mit Buchhandlungen verbinden können? Uns sind zumindest in Deutschland kaum solche Communities bekannt – oder sie sind von uns beiden als interessierten Lesern noch nicht wahrgenommen worden.


Digitale Communities starten mittels offen zugänglicher Datenbanken als mediale Zettelkästen (dem sogenannten social cataloging), in denen sich Benutzer ein Profil anlegen und dann eigene Kritiken bzw. Beiträge schreiben. Es handelt sich um Netzwerke, in denen Personen – online, zunehmend aber auch wieder real – zusammenkommen, um sich auszutauschen. Im Ausland gibt es etliche solcher Internet-Communities im Buchsegment – so beispielsweise LibaryThing.com mit über 2,3 Millionen Nutzern, von denen allein 2.400 Mitglieder einer Hatty Potter-Community namens „Hogwarts Express“ angehören und ihre spezifischen Interessen kommunizieren. (Der Wettbewerber Goodreads mit über 50 Millionen Nutzern (Stand 2016) wurde im Frühjahr 2013 für 150 Millionen US-Dollar von Amazon übernommen.)


In der Digitalisierung hat nun inzwischen eine neue Entwicklung stattgefunden. Schaut der deutsche Buchhandel auch diesem Trend wieder hinterher? Gerade noch sprach man von der großen Bedeutung von YouTube Stars als Meinungsmachern (neudeutsch: Influencern) in den Sozialen Medien, da offenbart sich in dem neuen Trend der Mikro-Influencer – das Aufkommen von Mulitplikatoren in kleinen Gruppen, die aber wertvolle Kontaktnetze bilden. Und wie so oft in der digitalen Welt ist auch dieses Phänomen an sich keineswegs neu; denn es handelt sich um das aus früheren Zeiten wohlbekannte Phänomen des Empfehlungsmarketing oder der Mund-zu-Mund-Propaganda.

Online- und offline-Communities leben nicht nur von der Menge ihrer Teilnehmer. Sie sind vor allem dank einiger weniger, herausragender „Meinungsmacher“ lebendig - also unseren Mikro-Influencern. Darin hat immer schon auchdas Geheimnis des einfluss- und erfolgreichen Sortimenters bestanden. Heute sollte er die neue digitale Erkenntnis für sich nutzen, dass es immer einige wenige einzelne Personen sind, die etwas in Gang bringen und in Bewegung halten. Online und offline. Er könnte schon mit einer Handvoll an engagierten Mitarbeitern und Stammkunden eine Community ins Leben rufen, die Kreise zieht und neue, wichtige Lesetrends auslöst. Dazu könnte er außerdem den einen oder anderen qualifizierten externer Experten einbeziehen. Solche Multiplikatoren reizt dabei oft weniger eine finanzielle Vergütung als die Möglichkeit und Befriedigung , eine Plattform für den offenen Erfahrungs- und Meinungsaustausch mitzugestalten.

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