Lange galt Größe als Garant für eine gute Position im Wettbewerb. Doch die Zeiten haben sich geändert. Größe ist zu einem Nachteil geworden.
Früher galt das Prinzip der Größe. Unternehmen, die über eine bedeutende Einkaufsmacht, große Umsätze und eine hohe Kapitaldecke verfügten, waren für Lieferanten, Kunden, Mitarbeiter, Banken und Politiker besonders interessant und wurden heftig umworben. Es ging um Mengeneffekte und Kostendegressionen, um Verdrängungswettbewerb und um Stabilität als Arbeitgeber und Geschäftspartner.
Doch diese Gründe verlieren in Zeiten der Digitalisierung, Globalisierung, Private Equity Finanzierung und Generation „Y“ immer mehr an Bedeutung. Fünf Gründe verdeutlichen, warum es Großunternehmen zukünftig immer schwerer haben, wettbewerbsfähig zu sein.
1) Beschäftigung mit sich selbst
Großunternehmen drehen sich gerne um sich selbst. Sie vernachlässigen dabei ihre Märkte und Kunden. Eher dominieren nach innen gerichtete Programme zur Senkung der Kosten, zur Absicherung der Compliance oder persönlicher Interessen einzelner Top Manager. Diese Programme verschlingen Ressourcen und bringen oft nicht die gewünschten Erfolge. Wollen die Mitarbeiter selbst nicht in den Strudel von Re-Organisation, Rationalisierung und Re-Positionierung kommen, dann hilft der laufende Nachweis der eigenen Überbelastung, Überproduktivität und Überbedeutung als Beweis der eigenen Unabdingbarkeit. Es zählt nicht die Effektivität, sondern die reine Handlung. Am Ende sind zwar alle super beschäftigt, aber bringen das Unternehmen wenig voran.
2) Je größer, desto komplexer
Menschen sind nicht für Komplexität gemacht. Aber je größer eine Organisation ist, desto größer ist die Komplexität an Abhängigkeiten, Aufgaben, Dokumentationen, Haftung, Kompetenzen, Personen, Prozessen, Strukturen, Terminen und Verantwortungen. Wer soll dies all noch überschauen? Da lebt es sich am besten mit festen Arbeitsabläufen, klaren Regeln und starren Strukturen, um den Überblick zu behalten und ein pseudo-effizientes Arbeiten zu ermöglichen. Dies behindert jedoch jegliche Veränderungen, Kreativität und Innovationen.
3) Trägheit der Masse
Menschen wollen meist keine Veränderungen. Sie reden zwar davon, aber wehe, wenn die Veränderung wirklich geschieht. Kommen nun größere Menschengruppen wie in Großunternehmen zusammen, dann führt die Trägheit der Masse zu immer größeren Barrieren gegen Neuerungen. Innovationen aber bedingen den Wandel. So genannte Produkt-, Prozess-, Markt-, Geschäftsmodell- oder gar Organisationsinnovationen gestalten bestehende Abläufe und Strukturen neu, was nicht jedem Betroffenen gefällt. Die Antwort sind Widerstände von offenem Widerspruch, Ablehnung bis zur versteckten Blockade.
4) Egokultur und Silodenken
Egoismus ist menschlich. Je größer und oft unpersönlicher das Unternehmen jedoch ist, desto mehr kann der eigene Egoismus ausgelebt werden. Dann heißt es: zuerst ich, dann meine direkte Organisationseinheit (aufsteigend: Team, Abteilung, Bereich) und dann erst das Großunternehmen. Dies führt zu Silodenken, in welchem sich Bereiche nicht mehr unterstützen oder gar gezielt gegenseitig ausspielen. Egal ob Angestellte oder Führungskräfte: Man spricht von bereichsübergreifendem Handeln, erlebt aber Abteilungs-Egoismus, eine Vielzahl von Fürstentümern und eine fehlende Identität für das Ganze.
5) Konsenskultur
Kommt es dann doch zu einer mehr oder weniger freiwilligen Zusammenarbeit zwischen Abteilungen, dann herrscht eine Konsenskultur. Es gilt nicht die Suche nach der sachlich besten Lösung, sondern der Kompromiss für die am einfachsten umsetzbare Lösung. Der Weg zum Konsens ist geprägt von langen Marathon-Meetings, da man alle Betroffene zu Beteiligten macht, sowie ausschweifenden Entscheidungsvorbereitungen, basierend auf ausführlichen Analysen und Business Plänen. Denn alle Aspekte sollen schon heute berücksichtigt werden, auch wenn sie noch gar nicht zu greifen sind. In der Zwischenzeit aber hat sich der Markt weiterentwickelt, doch die (überalterten) Entscheidungen werden weiter umgesetzt.
Fazit: Effekt der Größenregression
Anstelle der gewünschten und viel beschworenen Operational Excellence und Customer Experience dominieren in Großunternehmen häufig Ineffizienzen und die Ignoranz des Marktes. Tendenziell anders bei kleineren bis mittelgroßen Unternehmen: Ob Startup oder etabliertes Unternehmen, diese Schnellboote überholen schon heute immer mehr Großunternehmen dank ihrem klaren Fokus auf verbesserte Lösungen und Verfahren, neue Technologien und Geschäftsmodelle sowie neuartige, agilere Führungsmodelle. Es kommt zu einer Größenregression, bei der nicht mehr die Größe, sondern die Anpassungs- und Umsetzungsfähigkeit an Marktveränderungen zählt. Der alte Spruch von Charles Darwin (1808-1882) aus seiner Evolutionstheorie bekommt hier eine weitere Bedeutung: „Es ist nicht die stärkste Spezies die überlebt, nicht die intelligenteste, es ist diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann“.
Wie aber können sich Großunternehmen den Effekt der Größenregression für sich verwenden? Unternehmen wie Alphabet (mit der bekannten Tochter Google) oder Gore leben von dem Prinzip der Zellteilung. Wie die Amöben teilt sich Gore ab einer Größe von über 200 Mitarbeitern pro Einheit in zwei, neue eigenständige Einheiten. So lassen sich kleine, eigenständige Organisationen mit hoher Effizienz führen. Bei Alphabet gilt sogar das Motto „lieber kannibalisieren sich unsere Beteiligungen gegenseitig, als dass wir von extern kannibalisiert werden“. Eine Beteiligungsholding führt dann die unterschiedlichen Einheiten und Geschäfte, ohne selbst operativ tätig zu werden.
Dieser Blogbeitrag erschien zuerst am 22.11.2017 in Focus Online unter
http://www.focus.de/finanzen/experten/disselkamp/management-im-wettbewerb-ist-groesse-fuer-firmen-zum-nachteil-geworden_id_7882011.html
Ebenso ist dieser Beitrag im Kompetenznetz Mittelstand der Oskar Patzelt Stiftung zu finden, und zwar unter https://www.kompetenznetz-mittelstand.de/de/app/blog/2017/11/fünf-gründe-warum-es-großunternehmen-zukünftig-sch_jab9upc4.html
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