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Die zwei Seiten der Agilität und Holacracy



Agilität ist grundsätzlich die Fähigkeit einer Organisation, flexibel, aktiv, anpassungsfähig und mit Initiative in Zeiten des Wandels und Unsicherheit zu agieren. Hierzu hat die Managementlehre, vor allem dank der Softwareentwicklung und des agilen Projektmanagements, in den letzten Jahren diverse neue Theorien und Erkenntnisse entwickelt. Viele dieser Theorien hören sich zuerst einmal sehr gut an, doch stellen sie gleichwohl einige Risiken und Gefahren dar.

Dezentrale Verantwortung und Rollen

Ein zentraler Punkt des agilen Managements ist es, Verantwortlichkeiten sukzessive vom Vorgesetzten weg hin zu den Mitgliedern eines Teams zu verlagern, so dass Entscheidungen nicht mehr über mehrere Hierarchieebenen hinweg getroffen werden müssen und Ergebnisse rascher sichtbar sind.

In seinem Buch „Holacracy“ formuliert Brain J. Robertson im Jahr 2015 eine entsprechende, agile Organisationsform, bei der nicht mehr Linienfunktionen und Personen eine Organisation bestimmen, sondern Rollen, die sich an konkreten Aufgaben orientierten. Die Rollen haben festgelegte Verantwortlichkeiten und ggfs. Befugnisse über materielle Ressourcen. Zusammengehörende Rollen bilden in dieser Holacracy dann einen sog. Kreis („Team“), welcher seine Strukturen und Verantwortlichkeiten weitestgehend selbst organisiert. Ein Teammitglied kann dabei mehrere Rollen gleichzeitig ausfüllen und vor allem auch wieder abgeben, anstatt in starren Jobbeschreibungen gefangen zu sein.

Vier Leitlinien bestimmen die Holacracy (aus dem altgriechischen ὁλός, holos‚ vollständig, ganz und κρατία, kratía‚ dt. -kratie, Herrschaft): (1) die Trennung von Steuerungs- und operativen Treffen (also eine Trennung von Entscheidungen und Tagesgeschäft), (2) eine sog. doppelte Verbindung (d.h. sowohl eine direkte Teilnahme eines Teamvertreters in dem nächsthöheren sowie in den unteren Kreisen, mit denen man in enger Verbindung steht), (3) die gemeinsame und präzise Klärung der Zuständigkeiten und Rollen sowie (4) eine dynamische Steuerung, bei der nicht optimale Entscheidungen gesucht werden, sondern brauchbare und korrigierbare Wege

Reifegrad, Politisierung, Identifikation und Haftung

So schön der Gedanke an Agilität und agile Teamstrukturen ist, so bergen diese auch mehrere Nachteile und Gefahren: Nicht jeder Arbeitnehmer fühlt sich in einem Umfeld frei von Hierarchien und Vorgaben wohl! Schon das Reifegradmodell von Paul Hersey und Ken Blanchard aus dem Jahr 1977 schildert, dass nicht alle Mitarbeiter den Reifegrad zur Partizipation bzw. gar Übernahme von Verantwortung haben. Vielmehr warten viele auf klare Anweisungen bzw. Erklärungen für Entscheidungen. Gerade Mitarbeiter eines niedrigeren Reifegrades benötigen weiterhin langfristige Strukturen und klare Hierarchien mit disziplinarischen Vorgesetzten.

Agilen Teams droht zudem die Gefahr von anhaltenden Diskussion zur Konsens- und Entscheidungsfindung und das Entstehen von Fraktionen (Politisierungsprobleme). Im schlimmsten Fall kommt es zu Kämpfen zwischen den Fraktionen, zur Akzeptanz des niedrigsten gemeinsamen Nenners oder gar zur Blockade des Projektes. Fehlende, zentrale Führung und Hierarchien können des Weiteren die Komplexität in einem Projekt und Team erhöhen oder bei Mitarbeitern mit niedrigeren Reifegrad zu Identitätsproblemen führen, obwohl gerade die Reduktion von Komplexität sowie eine gesteigerte Einbindung und Identifikation der Betroffenen das Ziel agiler Strukturen ist. Schlussendlich kann die durch die agile Methodik stattgefundene Dezentralisierung und Enthierarchisierung zu Haftungsproblemen im Sinne der Organhaftung von Geschäftsführern und Vorständen führen, wenn sich niemand mehr für ein Projekt verantwortlich fühlt.

Die möglichen Nachteile der Agilität sprechen aber grundsätzlich nicht gegen ihre Verwendung. Vielmehr gilt es in modernen Unternehmen, je nach den Anforderungen einzelner Aufgaben sowie den sozialen und fachlichen Kompetenzen der involvierten Personen, die klassischen Regeln des Managements mehr oder weniger um die modernen Erkenntnisse der agilen Managementmethoden zu ergänzen. Dann können auch etablierte Organisationen dank der Ideen und Umsetzungskraft ihrer Mitglieder Innovationen entwickeln und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern.

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